„Was ist schon normal?“

Recoverygeschichte zum 22.12.2019 von Christian Kaiser

Ich heiße Christian, wurde 1982 geboren und hatte in Alter von 14 Jahren das erste Mal eine Psychose. Das war 1997, meinen 15. Geburtstag feierte ich in der Jugendpsychiatrie. Ich kann nicht sagen, dass es eine schlimme Zeit war, das einzige, was nicht so toll war, war dass ich zum Anfang der Therapie so sehr mit Medikamenten vollgepumpt wurde, dass ich mich nicht bewegen und nicht sprechen konnte, aber alles um mich herum mitbekam. Es war wie ein Wachkoma und das wünsche ich keinem.

Ich muss zugeben ich war nicht ganz normal, aber wer ist das schon? Ich bin noch immer der Meinung von Außerirdischen entführt worden zu sein, aber auch heute kenne ich die Wahrheit nicht. Außerdem wurde mein Glaube damals zur Besessenheit. Ich habe schon einige verrückte Dinge gemacht.

Einige aus meiner Schulklasse, glaubten mir vieles. Ich saß z.B. mal in Italien mit meiner Klasse im Bus und sah dann, vor meinem Inneren Auge, dass dieser einen Abhang hinunter stützt. Das sagte ich meiner Lehrerin und sie warnte den Busfahrer und sagte er solle vorsichtig fahren. Das Komische war jedoch, dass, als wir unten ankamen, der Abhang genauso aussah wie in dem, was ich voraussah. 

Allerdings hatte ich auch Wahrnehmungen, die man als Einbildung bezeichnet. Aber ein Gutes hat meine Störung, ich bin kreativ und habe viel Fantasie. Während einer manischen Phase bin ich sehr gut drauf und mein Denkapparat läuft auf Hochtouren, dummerweise ist das für mein Gehirn zu viel. Deshalb folgt, wenn ich mich zu sehr verausgabe, entweder die Psychose oder die Depression.

Aber beginnen wir mal alles chronologisch zu beleuchten.

MEINE WELT

Was ihr jetzt lesen werdet, wird sich für viele von euch wie aus einem Science-Fiction-Film geklaut anhören. Aber genauso habe ich es erlebt. 

Ich war schon im Kindergartenalter von dem Thema „Leben auf anderen Planeten“ begeistert und das steigerte sich, je älter ich wurde.

Im Alter von sieben Jahren hatte ich meine erste Begegnung mit einem Außerirdischen, zumindest war ich damals fest davon überzeugt. Der Außerirdische sah wie ein Krake aus und seine Stimme klang wie die eines Delfins. Er hatte wohl genauso viel Angst vor mir, wie ich vor ihm, als ich ihn vor meinem Bett sah – es war Nacht und ich hatte schon geschlafen – schrie ich so laut ich konnte, genau wie er und Sekunden später war er verschwunden. Dieses Erlebnis bestärkte mich in meinem Glauben an Aliens.

Ich ließ mir auch keine Dokumentation über Außerirdische und UFOs entgehen, war fasziniert von diesem Thema. Aber auch von vielen anderen, wie Naturschutz, vor allem dem Schutz der Regenwälder Südamerikas. Außerdem zeichnete ich Comics, und tue es immer noch. Also nicht, dass ihr jetzt denkt, ich war in dieser Zeit schon total auf dieses Thema fixiert.

Als ich zehn war, wurde alles schon mysteriöser. Einmal sah ich, wieder nachts, nachdem ich schon schlafen gegangen war, dass vor meinem Fenster ein fliegendes, helles Objekt mitten in der Luft stand. Dann erinnere ich mich an nichts.

Zwei Monate später träumte ich dann, dass ich mich, an Bord eines UFOs, mit kleinen grauen Männern mit großen schwarzen Augen unterhielt, die mir ihr Raumschiff mit vielen verschiedenen außerirdischen Tier- und Pflanzenarten zeigten. Sie erklären mir telepathisch, dass wir Menschen dabei sind unserem Planeten zu schaden und alle anderen Arten gefährden. Sie deuteten an, dass ihr Raumschiff so was wie eine Arche Noah sei, die jede Art im bekannten Raum vor dem Aussterben schützt und dass, wenn wir so weitermachen, wir auch bald dran sein würden.

Mit 14 Jahren wurden diese Träume immer intensiver. Diese Gedanken, dass ich eine Bestimmung hatte, ließen mich nicht los. Warum hätten sonst Wesen aus einer fremden Welt mit mir Kontakt aufnehmen sollen? 

Doch nicht nur die Träume wurden intensiver, auch meine Wahrnehmungen. Vor allem maß ich Sachen und Dingen eine Bedeutung und einen Zusammenhang bei, die gar nichts miteinander zu tun hatten.

DER SPINNER…

Ich benahm mich immer merkwürdiger. Das bekamen auch meine Freunde mit. Das lustige war jedoch, das mich nicht alle in der Klasse für einen Spinner hielten. Einige glaubten mir sogar, dass ich entführt wurde. Die Vertrauenslehrerin holte mich mit zwei Klassensprechern zu einem Gespräch. Ich sprach in Rätseln. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich schon, ich hätte alle Rätsel der Menschheit entschlüsselt. Doch in Wirklichkeit war ich selbst zu einem Rätsel für meine Mitmenschen geworden.

Als meine Eltern dann voller Sorge einen Psychiater aufsuchten, war für mich viel interessanter, dass man durch dass Fenster des Arztes einen Teil des Gebäudes sehen konnte – eine Glaspyramide. 

IN DER JUGENDPSYCHIATRIE

Langsam aber sicher merkte ich nicht mehr, was um mich herum geschah. Stattdessen war ich der Meinung, außerirdische Signale aus dem Fernsehen zu erhalten.
Am nächsten Tag fuhr ich mit meiner Mutter zur Jugendabteilung der Nervenklinik in Gehlsdorf. 

In der Klinik kam es mir wie in einem Ferienlager vor, doch wie sagte mal der Assistenzarzt: „Das ist hier kein Ferienlager, das ist eine Klinik!“ Mein Zustand hatte sich innerhalb einer Woche wieder fast völlig normalisiert. Ich freundete mich auch mit vielen der Patienten an. Trotzdem war es mir peinlich, dass ich in der „Klapsmühle“ gelandet war. Als ich dann zweieinhalb Monate in der Klinik verbracht hatte, sollte ich auf die Gehlsdorfer Realschule gehen, um wieder mit dem Alltag konfrontiert zu werden.

DIE LÜGE

Als mich die Englisch-Lehrerin empfing, fragte sie, warum ich nur so kurz auf die Schule ginge. „Wohnst du gerade bei deiner Oma, oder so?“ Ihr erzählte ich die Wahrheit, sie hatte mir jedoch eine gute Geschichte für den Rest der Meute geliefert.

Ich verstand mich gut mit den Schülern dieser 8. Klasse, besonders mit meinem Banknachbarn, mit dem ich schon fast Freundschaft schloss. Nur die Lüge stand zwischen uns und es war sehr belastend. Ich musste beispielsweise, um nicht entdeckt zu werden, immer zwei Stationen früher aus dem Bus aussteigen. Damals war an der Haltestelle, an der eine komische Frauenstimme zu sagen pflegt: “Nächster Halt: Gehlsheim Klinik“ noch keine Wohnsiedlung.

Mir fiel das Lügen immer schwerer und ich hatte ein schlechtes Gewissen, zumal es mir so vorkam, als würde ich Fuß in der Klasse fassen. Ich fühlte mich mies, aber war schon zu sehr in dem Lügengestrüpp verfangen. Wahrscheinlich war das auch der Grund für meinen Rückfall.

MEINE ZWEITE ODYSSEE

Nach einem Wochenende, das ich, wie schon drei zuvor, zu Hause verbrachte, fühlte ich schon, dass es wieder so weit war. Mit meinem besten Freund und meiner Mutti war ich im Zirkus. Dort tanzten die Lichter durch die Manege. Ich empfand es als enormen Stress.

Die Scheinwerfer im Zirkus sahen genauso aus, wie damals das Raumschiff vor meinem Fenster. Ich bekam wieder komische Gedanken. Den Ärzten der Klinik blieb das natürlich nicht verborgen.

Am Dienstag setzte ich mich mit der Fernbedienung vor den Fernseher und schaute im Videotext nach Signalen der Aliens. Diesmal war es nicht so schlimm wie beim ersten Mal, es reichte trotzdem. In die Schule wurde ich natürlich nicht gelassen.

Meinem Zimmernachbarn, war es sehr wichtig, das ich zu Schule ging, er wollte nicht wahrhaben, dass ich wieder krank war und sagte voller Überzeugung: „Wenn sie dich morgen nicht rauslassen, kletterst du aus dem Fenster, wir helfen dir.“

Ich muss dazu sagen, dass es so um die zehn Meter hoch, also auch sehr gefährlich gewesen ist. Ich überlegte die ganze Nacht, ob ich das tun sollte. Ich entschied mich dagegen.

Nun wurde ich täglich gespritzt, da meine Medikamente umgestellt werden mussten. Während dieser Umstellung auf Zyprexa passierte wieder etwas merkwürdiges und auch für mich belastendes. Ich begann die Zeit intensiver wahrzunehmen. Es war als wenn sie langsamer verging, viel langsamer.

Ich hatte während dieser Zeit ein sehr mulmiges Gefühl in der Magengegend. Aber zum Glück dauerte das Ganze nur drei Tage. Es kam mir wesentlich länger vor. Danach war ich wieder normal. Na ja, was ist schon normal?

DAS HAPPY END?

Nun musste ich wieder in die Gehlsdorfer Schule. Dummerweise war mein Lügengerüst eingestürzt. Ich denke mal, die Direktorin dachte, es wissen sowieso alle und hat dann berichtet, dass ich einen Rückfall hatte. Natürlich freuten sich alle, dass es mir besser ging, andererseits war mein Kumpel Christoph sauer, dass ich ihn belogen hatte. „Mensch, wieso hast du nicht gleich gesagt, dass du aus Gehlsheim kommst. Ist doch nicht so schlimm. Wir hatten schon öfter welche in der Schule. Die sind doch in Ordnung, genau wie du.“, sagte er. Mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet.

Eigentlich war ich darüber froh, dass es herausgekommen war. Meinen 15. Geburtstag verbrachte ich noch in der Klinik. Zwei Wochen danach wurde ich entlassen.

In meiner Schule wurde ich gut aufgenommen, auch wenn hinter meinem Rücken über mich gelästert wurde. Denen würde ich es zeigen, dachte ich mir und machte einen qualifizierten Realschulabschluss.

Auch meine anschließende Ausbildung absolvierte ich mit einem guten IHK-Abschluss.

Leider hatte ich während der Ausbildung zum Bürokaufmann noch zwei Rückfälle. 

Ich muss dabei zugeben, dass ich es regelrecht genoss, wenn ich manisch war. Es war ein tolles Gefühl der Euphorie, ich konnte die ganze Welt umarmen.

Das kann ich nach der Therapie wieder!

Mehr von Christian kannst du auf seiner Homepage finden. Dort sind auch Comics und weitere kreative Werke von ihm und den Mad Artists zu entdecken!

Ein Kommentar

  • Christian Kaiser

    Wie steht ihr dazu, dass ich immer noch ein reges Interesse an Außerirdischen habe und sogar glaube, dass ich tatsächlich entführt wurde. Laut einer guten jungen Psychologen, hat dies nichts mit meiner Psychose zu tun. Sie hat sich sogar mit meinem Vater und meiner Mutter unterhalten, meine Mutti glaubt nicht daran. Doch mein Vater hat der ganzen Familie zu Weihnachten 2008 geschildert, dass er auch in Achtzigern und Neunzigern Erlebnisse hatte, Es waren aber schlimme Erlebnisse. Allerdings hat er auch 2005 mit 55 Jahren seine erste und 2006 seine zweite und bisher letzte Psychose gehabt, ich finde das schon alles sehr seltsam. Aber ich kann gut damit umgehen.